Medea


Handlung | Entstehung | Die Fassung 1784 | Sprechen und Singen | Zur Textedition


Die melodramatische Verbindung von gesprochener Sprache und Musik ist keine Erfindung des 18. Jahrhunderts, sondern als Szenentyp bzw. spezifische Technik in Theaterstücken im deutschen Raum bereits seit dem frühen 17. Jahrhundert nachweisbar. Diese Stücke verwenden neben rein deklamierten Texten oft auch zu Musikbegleitung gesprochene Passagen, Gesang, Instrumentalmusik-Einlagen usw. und lassen sich terminologisch weder als reine „Schauspiele“ noch als „Opern“ erfassen. Eine typische Einsatzszene melodramatischer Techniken in frühneuzeitlichen Theaterstücken ist etwa das Einschlafen einer Hauptfigur, was den Einsatz von Musik geradezu erforderte; diese Konvention ist nicht nur im elisabethanischen Drama, im deutschen Barockdrama oder im Jesuitendrama sichtbar, sondern auch noch lange danach, etwa in Mozarts Zaide oder in Beethovens Egmont-Musik.
Erst die Aufklärung und ihre Folgeströmungen lösten jedoch die melodramatische Technik aus derartigen Mischformen und verabsolutierten sie zu einer eigenen Gattung des Musiktheaters. Trotz ihres französischen Ursprungs wurde die neue Form des Bühnenmelodrams nirgendwo in Europa so beliebt wie in Deutschland nach 1775, wo es geradezu eine charakteristische Sonderentwicklung des Musiktheaters bildete und breite publizistische Resonanz auslöste. Dieser Siegeszug des Melodrams wurde in Deutschland sicher auch durch das Fehlen einer starken volkssprachlichen Operntradition ermöglicht, die z. B. in Frankreich oder Italien dem Melodram wenig oder gar keinen Raum ließ. Im deutschsprachigen Bereich, wo die Oper zudem wesentlich umstrittener war als in Frankreich oder Italien, sahen manche Zeitgenossen im Melodram eine Lösung der Probleme, die eine stark auf Axiome wie „Natürlichkeit“ bzw. „Wahrscheinlichkeit“ und auf das Primat von Texten fixierte Kultur (wie die protestantisch geprägte Ästhetik der deutschen Aufklärung) mit der Gattung Oper hatte. Begeisterte Besprechungen der Benda-Melodramen zeigen ein zeittypisches, grundsätzliches Missbehagen an der Oper der Zeit; Kritikpunkte waren etwa Unverständlichkeit, Langweiligkeit, Dominanz der Musik oder der statuarische Darstellungsstil der Sänger. Das Melodram erschien in all diesen Punkten prinzipiell der Oper überlegen. Anstelle der Dominanz der Musik in der Oper sah man im Melodram eine grundsätzliche Gleichrangigkeit von Text und Musik gegeben, verbunden durch ein gemeinsames Wirkungsziel, wobei die Musik, die die Zeitgenossen durch ihre affektive Wirkungskraft und gleichzeitige inhaltliche Uneindeutigkeit irritierte, in der neuen Theaterform gewissermaßen domestiziert und durch die Verbindung mit Gestik und gesprochener Sprache semantisch auf den Punkt gebracht wurde. Aus der Sicht der Zeitgenossen bot die neue Gattung gegenüber der traditionellen Oper bessere Verständlichkeit und höhere „Natürlichkeit“.
Noch ein ganz anderer Faktor begünstigte den Erfolg der Gattung in Deutschland entscheidend, nämlich die – in der zeitgenössischen Diskussion selten thematisierte – theaterpraktische Seite: Melodramen waren gegenüber Opern und Singspielen deutlich einfacher und günstiger zu produzieren, erforderten keine ausgebildeten Sänger und nur ein Minimum an Bühnentechnik, Dekoration, Ausstattung und Bühnenbild, garantierten dafür aber ein volles Haus. Nicht zufällig standen daher am Anfang des deutschen Melodrams erfahrene Theaterpraktiker aus Wanderbühnen bzw. Liebhabertheatern wie Johann Christian und Charlotte Brandes, Abel und Sophie Seyler oder Friedrich Wilhelm Gotter.
Im Melodram vom Typ Bendas kam es nun zu einer neuartigen Verbindung von Sprache und Musik. Durch die kleinteilige Abwechslung von gesprochenen Textpartikeln und kurzen „musikalischen Zwischensätzen“ konnte die Musik einerseits dem affektiven Gehalt der Textpassagen enger folgen, als es in der Oper der Zeit üblich war. Zugleich konnte der Komponist kaum auf die etablierten satztechnischen Modelle des Musiktheaters zurückgreifen, sondern war gezwungen, eine neuartige musikalische Syntax zu entwickeln, die den raschen Umschwüngen im Innenleben der Hauptfigur entsprach. Nur an einigen wenigen, rituellen Stellen schrieb Benda so etwas Ähnliches wie gesprochene Arien (etwa bei Medeas Gebet an Juno); an wenigen Höhepunktstellen sah er ein Sprechen gleichzeitig zur weiterlaufenden Musik vor. Ansonsten aber lebt die Medea-Musik von ausgefeilten, je unterschiedlichen Spannungsbögen, die sich aus der engen Verzahnung von kurzen Text- und Musikabschnitte ergeben und die in der Aufführungspraxis der Zeit wohl auch einen hohen Anteil pantomimischer Darstellungskunst erforderten.