Prima la musica e poi le parole


Handlung | Historischer Kontext | Entstehung | Besetzung | Rezeption | Metamelodramma und Intertextualität


Entstehung

Es gibt wohl kaum ein zweites musiktheatrales Opus, in welchem sich die produktions-geschichtliche Faktizität dergestalt im Werk, d. h. in Dramaturgie und Handlung, widerspiegelt, wie Giambattista Castis und Salieris Prima la musica e poi le parole. Die chronologisch erste Quelle im Kontext der Werkgenese von Prima la musica wird vom Librettisten Casti übermittelt. Es ist ein Brief an Paolo Greppi (vom 24. Januar 1786), in welchem er seinem Freund von dem Auftrag für eine kleine Oper berichtet:

È qua, come sapete, l’archiduchessa Cristina col duca Alberto. V. M. pensa darle una festa a Scenbrun [sic] ed ha incaricato me di fare uno spettacoletto d’un’ora. Io già l’ho fatto, e la musica sta sul punto d’esser ancora essa terminata da questo maestro di Cappella Salieri. E spero che dovrà riuscire una cosa graziosa sì per le parole, che per la musica, e per l’eccelenza degli attori, e cantanti. La compagnia sarà composta da una trentina almeno di coppie […]1

Casti berichtet – immerhin knapp zwei Wochen vor der Premiere in Schönbrunn –, dass er das Stück „bereits gemacht habe“, Salieri aber demgegenüber mit der Komposition noch nicht ganz fertig sei. Dieser Sachverhalt entspricht zwar durchaus den gängigen Produktionsbedingungen einer italienischen Oper, gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass Casti sich hier zum primären Autor deklariert: Der Kaiser habe ihm den Auftrag für ein einstündiges Werk erteilt.
Wie auch immer der kaiserliche Auftrag letztlich ausgesehen haben mag, das Thema „Theater auf dem Theater“ bzw. die Implementierung präexistenter Musik dürfte substantieller Bestandteil der scrittura gewesen sein. Während dieses Sujet für ein deutsches Singspiel eher Neuland darstellte, war für eine italienische Opera buffa damit eine klare Anknüpfung an die Tradition des metamelodramma verbunden, einem Genre, das seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts die artistischen Konventionen der Opera seria satirisch ins Visier nahm.
Für die Genese sowie die dramaturgische Ausrichtung einer Meta-Oper spielte ein Ereignis im Wiener Theaterleben eine zentrale Rolle: Dies war die Aufführung von Giuseppe Sartis Opera seria Giulio Sabino im August 1785. Diese Aufführung darf gleichermaßen ‚Eventcharakter‘ beanspruchen wie das Spektakel in der Wiener Orangerie, insofern als Giulio Sabino zu den wenigen Opere serie gehörte, die in Wien in den 1780er Jahren gespielt wurden.2 Bekanntermaßen entsprach die Seria-Gattung nicht dem theatralen Gusto des Kaisers, der das italienische Opernleben ganz auf das Buffa-Genre ausgerichtet sehen wollte. Für die Autoren von Prima la musica wurde Giulio Sabino zum referenziellen Dreh- und Angelpunkt, zumindest in der ersten Hälfte ihres Divertimento teatrale. Casti und Salieri arbeiten sich an Sartis Oper bzw. deren überaus erfolgreichen Aufführungen regelrecht ab. Prima la musica wird auf diese Weise auch zu einem bedeutsamen musikalischen Rezeptionsort für Sartis Oper respektive für Opera seria in Wien. Die Tatsache, dass Salieri diese Aufführungen als Kapellmeister geleitet hat und somit auch für die drastischen Eingriffe in die Originalgestalt von Giulio Sabino verantwortlich zeichnete, darf als wesentliche musikdramaturgische Folie für die Interpretation des Metacharakters von Prima la musica gesehen werden.



1 Zitiert nach Antonio Fallico, „Giambattista Casti: il teatro musicale in berlina“, in Prima la musica e poi le parole [...], Il ritratto di Manon, Una domanda di matrimonio: Tre opere: linguaggio di tre secoli, hrsg. von Ufficio stampa dell’Ente lirico Arena di Verona, I quaderni dell’Arena (Verona: Cortella industria poligrafica, 1977),
[S. 2–3].

2 Zu diesem gesamten Komplex siehe ausführlich Richard Armbruster, „Salieri, Mozart und die Wiener Fassung des Giulio Sabino von Giuseppe Sarti: Opera Seria und ‚Rondò-Mode‘ an der italienischen Oper Josephs II.“, Studien zur Musikwissenschaft 45 (1996), S. 133–166, sowie ders., Das Opernzitat bei Mozart, Schriftenreihe der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg 13 (Kassel: Bärenreiter, 2001), S. 37–62.