Medea


Handlung | Entstehung | Die Fassung 1784 | Sprechen und Singen | Zur Textedition


Gotters und Bendas Medea trat nach der Uraufführung 1775 einen außergewöhnlichen Siegeszug über die deutschen Bühnen aller Art, von der Wanderbühne bis zum Hoftheater, an. Trotz dieses Erfolges überarbeitete Benda seine Medea-Vertonung 1784 komplett neu, nachdem er bereits 1781 Ariadne auf Naxos in ähnlicher Weise (wenngleich deutlich moderater) neu bearbeitet hatte. Der Hintergrund dieser Neufassungen dürfte in der überraschenden – und für das späte 18. Jahrhundert sehr ungewöhnlichen – vorzeitigen Demission Bendas als Gothaer Hofkapellmeister 1778 zu suchen sein. Als Ende 1774 die Seylersche Schauspiel-Gesellschaft nach Gotha kam, erwuchs Benda auf seinem eigenen Terrain ein direkter Konkurrent, denn Seyler brachte seinen Theaterkapellmeister mit, den aus Coburg stammenden Anton Schweitzer. Die Wanderbühne spaltete sich kurz darauf: Während Abel Seyler Ende 1775 mit einem Teil seiner Schauspieler (etwa dem Ehepaar Brandes) und Bendas Söhnen Friedrich Ludwig und Heinrich Gotha wieder verließ, übernahm Conrad Ekhof die Leitung des Theaters. Das nunmehrige „Gothaer Hoftheater“ wurde weithin beachtet als erstes deutsches Hoftheater mit einem festen Ensemble, bei dem die Schauspieler mit Einzelverträgen am Hof und mit vertraglich abgesicherten Pensionsansprüchen angestellt wurden, also nicht mehr von einem Prinzipal abhängig waren. Der Theaterkapellmeister Anton Schweitzer blieb mit Ekhof in Gotha – und Benda, der nach 1775 in Deutschland zu den berühmtesten und meistgespielten Theaterkomponisten zählte, hatte dadurch nun ausgerechnet an seiner eigenen Wirkungsstätte keinen Zugang mehr zum Hoftheater, weil dessen musikalische Leitung in den Händen von Schweitzer lag.
Nach Ekhofs Tod wurde das Hoftheater im September 1779 vom Herzog aufgelöst; doch Schweitzer, der 1778 nach Bendas Kündigung dessen Position als Hofkapellmeister erhalten hatte, blieb trotz der Schließung des Hoftheaters als Leiter der Hofkapelle in Gotha (bis zu seinem Tode 1787). Benda verweilte daher nach seiner Rückkehr nur kurze Zeit in Gotha; 1780 zog er sich ins Umland nach Georgenthal, 1783 endgültig nach Ohrdruf zurück. Nachdem seine Versuche, mit neuen Melodramen an die alten Erfolge anzuknüpfen, ohne Resonanz geblieben waren (Pygmalion mit Text von Gotter nach Rousseau sowie Theone, Textdichter unbekannt, beide 1779), arbeitete er seine beiden älteren Melodramen um. Diese Neufassungen aber erzielten keine großen Erfolge mehr.
Auch die Neufassung der Medea gelangte nicht in die Theaterpraxis. Belegen lässt sich nur eine einzige Aufführung in Mannheim am 7. Oktober 1784. Danach scheint diese Fassung in Vergessenheit geraten zu sein, während die ältere Fassung von 1775 weiterhin auf den deutschen Bühnen Triumphe feierte.
Die Änderungen, die Benda 1784 bei der Neufassung der Medea-Musik vornahm, sind tiefgreifend und betreffen fast jeden Takt des Werks: Zahlreiche Details des musikalischen Satzes sind revidiert (Tempobezeichnungen, Taktangaben, Stimmführungen, Rhythmik, Begleitfiguren etc.), die Instrumentierung ist deutlich verändert, die Musik insgesamt gekürzt. Die auffälligste Änderung bei der Instrumentation, der Verzicht auf Trompeten und Pauke, könnte direkt mit Bendas veränderter Situation 1784 zusammenhängen: Da er nicht mehr Hofkapellmeister war, hatte er keinen Zugriff mehr auf Trompeter und Paukisten als Hofmusiker. Darüber hinaus aber hätte der Verzicht auf diese Instrumente gerade auch die Aufführbarkeit des Werks durch kleinere Theater oder Wanderbühnen erleichtert. Die weniger aufwendige Neuinstrumentierung lässt sich damit auch als Reflex der theaterpraktischen Erfahrungen Bendas verstehen – wie sich die neue Fassung Bendas generell als Reaktion auf die Bühnenwirkung des Stücks verstehen lässt. Das Bestreben, die Musik noch abwechslungsreicher, stärker auf die Wirkung bezogen anzulegen, ist deutlich an den Veränderungen erkennen. Benda selbst hielt die späte Fassung für eine klare „Verbesserung“, wie eine autographe Vorbemerkung auf der Partiturhandschrift von 1784 zeigt: Medea | mit | verbeßerter Musik | von | Georg Benda. | [durchgestrichen: Im Jahre 1784.] | Unter dieser Verbeßerung der Musik | ist sie 1784 in Mannheim aufgeführt worden. | Ich wollte, ich hätte sie unter dieser Gestalt | gleich bey ihrer Geburt auf das Theater gebracht. | GB.
Mit der Fassung von 1784 ist die Werkgeschichte der Medea Bendas jedoch noch nicht beendet. Zwei weitere autographe Quellen zeigen Bendas ständige Weiterarbeit im Detail. So weist ein offenbar zur Partitur von 1784 gehöriger autographer Stimmensatz zahlreiche kleinere Änderungen gegenüber der Partitur auf.
Daneben existiert schließlich eine autographe Einrichtung der Fassung von 1784 für Streichquartett und Sprecher. Diese Einrichtung ist als das letzte Stadium des Werkkomplexes einzustufen. Hier finden sich an zahlreichen Stellen neue musikalische Details. Insgesamt kürzte Benda hier die Musik noch weiter, offenbar um den dramatischen Verlauf wirkungsvoller zu machen. Es handelt sich hier also nicht lediglich um eine einfache Transkription für eine kleinere Besetzung, sondern um eine teilweise neue Überarbeitung der Musik.