Medea


Handlung | Entstehung | Die Fassung 1784 | Sprechen und Singen | Zur Textedition


Bei der Edition von Melodramen-Textbüchern stellen sich spezifisch andere Probleme als bei Opern- oder Singspiel-Libretti. Anders als bei Opern existieren bei Melodramen des 18. Jahrhunderts in der Regel zwei grundsätzlich verschiedene Typen von Textbüchern. Die Textbücher des ersten Typs enthalten nach dem Muster von Schauspieltexten lediglich den (meist in Prosa verfassten) Text samt Nebentexten; der Bezug zur Musik wird dabei nicht oder allenfalls ungenau angegeben. In den Textdrucken des zweiten Typs sind dagegen sowohl der jeweilige Einsatz der „musikalischen Zwischensätze“ als auch das Sprechen zu gleichzeitiger Musik – die sogenannten „Parakataloge“-Passagen – typographisch markiert. Für diese Markierung bildeten sich in der kurzen Erfolgsgeschichte des Bühnenmelodrams lokal unterschiedliche Formen heraus: für die „musikalischen Zwischensätze“ z. B. Absätze, verschiedene Formen von Gedankenstrichen, Asterisken, drei oder mehr Punkte usw.; für die Parakataloge zeilenweise wiederholte Anführungszeichen. Gelegentlich wurden auch Kombinationen dieser Elemente verwendet.
Die Unterscheidung dieser beiden Textbuchformen ist deshalb wichtig, weil der zweite Textbuchtyp offensichtlich die Kenntnis der bereits vertonten Partitur voraussetzt und darüber hinaus in seiner Textgestalt meist auch performative Elemente enthält; hier werden z. B. Textwiederholungen, die sich durch die Vertonung ergaben, ausgeschrieben. Hier finden sich meist auch ausführlichere Nebentexte zur szenischen Realisation. Diese Textbücher bilden damit ansatzweise die musiktheatrale Aufführung deskriptiv in ihrer Textgestalt ab, während Drucke des ersten Typs den reinen literarischen ‚Text‘, quasi präskriptiv und unabhängig von einer tatsächlichen Vertonung, präsentieren. Die beiden Formen unterscheiden sich nicht so sehr im eigentlichen Kern des gesprochenen Haupttextes, aber erheblich im Einbezug der performativen Ebene. Im Falle der gedruckten Medea-Textbücher existieren somit zwei unterschiedliche Traditionsstränge nebeneinander: präskriptive Textdrucke ohne konkreten Musikbezug und deskriptive Textdrucke, die sehr wohl auf die konkrete Komposition Bendas bezogen sind.
Von der Mannheimer Medea-Aufführung der Fassung von 1784 ist kein gedrucktes Textbuch erhalten. Daher scheint es sinnvoll und angebracht, paradigmatisch je ein Beispiel für beide Typen von Medea-Textbüchern zu edieren, da die Edition nur eines Druckes kein zutreffendes Bild der historischen Situation vermitteln würde. Die Wahl fiel dabei auf das mutmaßliche Textbuch der Erstaufführung in Gotha 1775, das geradezu idealtypisch ein literarisch-präskriptives Textbuch repräsentiert (und möglicherweise vom Textdichter Friedrich Wilhelm Gotter noch ohne Kenntnis der Partitur Bendas für den Druck eingerichtet wurde). Für den zweiten Typ eines aufführungsbezogen-deskriptiven Textbuches wurde der Druck Frankenthal 1778 ausgewählt, weil dieser das früheste Beispiel eines derartigen Medea-Textdruckes ist. Die neue Edition bietet damit zusätzlich zum Text der handschriftlichen Partitur zwei Beispiele für den zeitgenössischen Druck von Melodramentexten.
Zu den Besonderheiten der Medea-Überlieferung gehört schließlich der für Melodramen singuläre Fall, dass der Textdichter Gotter später für seine Werkausgabe 1788 eine Versfassung des ursprünglichen Prosatextes anfertigte. Dieser versifizierte Melodramentext findet sich dort unter „Trauerspiele“ eingestuft. Die nachträgliche Versifizierung wirkt wie ein Versuch, die literarische Qualität des Textes hervorzuheben und damit zu unterstreichen, dass dieser Text aus Sicht seines Autors nicht in der Funktion einer Aufführungsvorlage für ein multimediales Gesamtwerk aufging, sondern einen eigenständigen Status als literarisches Kunstwerk beanspruchte. Entsprechend tilgte Gotter hier performative Bestandteile weitgehend und betonte in der programmatischen Vorrede seines Trauerspiel-Bandes, dass er beim Medea-Text die „Umschmelzung in ein Lyrisches Sylbenmaas, wenn dieses mit der vortreflichen Bendaischen Musik nicht auf das genaueste übereinstimmen sollte, dem Vergnügen des Lesers, ohne Anspruch auf theatralischen Gebrauch, gewidmet haben will.“ Auf eine Edition dieser Fassung wurde verzichtet.