Prima la musica e poi le parole


Handlung | Historischer Kontext | Entstehung | Besetzung | Rezeption | Metamelodramma und Intertextualität


Rezeption

Prima la musica e poi le parole und Der Schauspieldirektor wurden am 11., 18. und 25. Februar 1786 im Wiener Kärntnertortheater wiederholt, „mit außerordentlichem Beifall und Zulauf“.1 Für Salieris Oper waren dies die einzigen weiteren zeitgenössischen Aufführungen nach der Premiere in Schönbrunn.2 Es erscheint wie eine Volte der Historie, dass Mozarts Der Schauspieldirektor eine nicht unwesentliche Rezeption im 19. Jahrhundert erfahren hat, Salieris Prima la musica dagegen fast komplett in Vergessenheit geraten ist – mit Ausnahme des Titels, dessen Motto innerhalb der ästhetischen Diskussion um die Priorität von Wort und Ton überlebt hat. Dieses Faktum des historischen Vergessens gründet letztlich in der Konzeption von Castis Operntext: Gerade weil Casti und Salieri den Kategorien Allusion, Zitat und Parodie in ihrem Werk breiten Raum ließen, war die Oper außerhalb ihres selbstreferenziellen Wiener Beziehungsgeflechts kaum ,spielbar‘. In Wien selbst war Prima la musica, so will es scheinen, offenbar existentiell auf das ,Gegenstück‘, nämlich den Schauspieldirektor, angewiesen, da der historische Opernabend in der Orangerie gleichsam als Einheit aufgefasst wurde.
Während Prima la musica offenbar keinerlei Spuren auf dem Theater des 19. Jahrhunderts hinterlassen hat, so ist die Rezeption der ästhetischen Denkfiguren und ihrer Diskussion im 20. Jahrhundert nicht geringzuschätzen. Konkrete dramaturgische Spuren dieser Diskussion finden sich vor allem in zwei Opern von Richard Strauss: in Capriccio sowie Ariadne auf Naxos. Beide Werke können in gewisser Weise als Meta-Opern klassifiziert werden, da sie beide um die theatralen Denkfiguren poetischer und musikalischer Komposition kreisen. Diese Diskussion ist zweifellos in Capriccio (1942) ausgeprägter, wo sie den dramaturgischen Überbau des Werkes abgibt. Im Mittelpunkt von Capriccio steht die Frage nach der potentiellen Vorherrschaft der Musik über die Sprache, wofür Prima la musica das Modell abgegeben hatte. Ganz anders verhielt sich dies noch in Ariadne auf Naxos (2. Fassung 1916), wo Hugo von Hofmannsthal ganz dezidiert die theaterpraktischen Zwänge zur Folie des Vorspiels gemacht hatte. Schon die Auftragsvergabe des „gnädigen Herrn in Wien“, lanciert durch den Haushofmeister, gemahnt an die Ausgangssituation in Prima la musica. Viel mehr aber noch ist es die Konstellation einer aufzuführenden Opera seria mit ,gattungsfremden‘ Elementen, die Casti direkt abgelauscht scheint. Die Bedingung schließlich, dass die Opera seria und ein Stück in „Buffo-Manier“ zu einem Opus verschmolzen werden sollen – dessen Aufführungsdauer interessanterweise wie bei Casti eine Stunde beträgt –, lässt die historischen wie dramaturgischen Implikationen von Prima la musica geradezu paradigmatisch im Ariadne-Vorspiel kondensieren. Prima la musica e poi le parole, Salieris und Castis Divertimento teatrale, erfährt auf diese Weise eine musikästhetische Bedeutung, welche die zeitgenössische Rezeption des Werks weit überstrahlt.



1 Ephemeriden der Litteratur und des Theaters, Bd. 3, (Berlin, 1786), S. 189–190.
2 Siehe Wiener Theaterkalender auf das Jahr 1787, S. 127, sowie den Anhang zur Wiener Zeitung (1786), Nr. 13, S. 345.